Frère Alois 2020
Unterwegs und doch verwurzelt bleiben
Vorschläge für das Jahr 2020
Frère Alois Ein Bemühen um Wahrhaftigkeit
Unsere Communauté von Taizé hat im Jahr 2019 einen schwierigen Weg des Bemühens um Wahrhaftigkeit beschritten, nachdem Brüder der Communauté wegen sexueller Übergriffe beschuldigt worden waren. Um auf unserem Weg des Vertrauens zu bleiben, wollen wir, dass alles ans Licht kommt und jeder und jede offen sprechen kann. Näheres dazu unter: www.taize.fr/protection [http://www.taize.fr/protection] 1. Immer unterwegs ... bereit, neu anzufangen
Aufgrund unseres Glaubens antworten wir auf den Ruf, uns auf den Weg zu machen. Wir erinnern uns daran, dass in jeder Situation ein Neuanfang möglich ist – unabhängig davon, ob es uns gutgeht oder ob wir vor unüberwindlich scheinenden Herausforderungen stehen. In den ersten Kapiteln der Bibel steht die Geschichte der Berufung Abrahams. Gott fordert Abraham auf, alles zu verlassen und wegzuziehen, ohne zu wissen, wohin. Mit seiner Frau Sarah macht er sich auf einen Pilgerweg, im Vertrauen, dass Gott sie führen werde. In dem neuen Land, in das Gott sie führte, leben Abraham und Sarah weiterhin in Zelten, so als wären sie noch immer unterwegs. Doch am Ende entsteht aus den Schwierigkeiten etwas Gutes: Abraham und Sarah fanden etwas, das sie nie entdeckt hätten, wenn sie zu Hause geblieben wären. Die Bibel trägt in sich diese Dynamik: aufbrechen und einer Zukunft entgegengehen, die Gott uns schenkt. Dieser Weg kann voller Hindernisse sein. Auch das Volk Gottes machte diese Erfahrung beim Auszug aus Ägypten, als es vierzig Jahre lang umherirrte. Gott selbst wurde zum Pilger. Er führte und begleitete sein Volk: „Ich bin mit dir, ich behüte dich, wohin du auch gehst.“ (Genesis 28,15) Auf dem Weg durch die Wüste lernt das Volk, Gottes Stimme zu hören. So öffnet Gott völlig neue und unerwartete Möglichkeiten.
2. Immer unterwegs ... mit offenen Augen für die Menschen in unserer Umgebung
Jesus sagt von sich selbst, er sei ein Pilger, der „keinen Ort hat, wo er sein Haupt hinlegen kann“. (Matthäus 8,20) Er zog aus, um die gute Nachricht zu verkünden: Gott ist uns ganz nahe; er will unsere Welt verändern. Und er lädt uns ein, uns daran zu beteiligen, die Menschheitsfamilie zu erneuern. Durch sein Leben – indem er vor allem auf die Kleinen und die Schwächsten achtete – hat Jesus uns gezeigt, wo wir anfangen können. Jesus war überaus aufmerksam für andere, weil er tief in Gott verwurzelt war. In jedem Moment seines Lebens ließ er sich vom Heiligen Geist führen. Durch sein Kommen in die Welt hat Christus unser Menschensein bis ins Letzte angenommen. Bei seinem Tod am Kreuz hat er bis zum Äußersten gelitten und uns seine absolute Treue, zu Gott und zu uns, geoffenbart. Durch seine Auferstehung wurde er der Zeuge des Neubeginns, den Gott der Menschheit aus Liebe schenkte. Viele stehen fassungslos vor all der Gewalt und Demütigung und fühlen sich auf der Erde wie Fremde. Indem sie Christus nachfolgen, zeigen die Christen, dass sie auf Gott vertrauen. Das bewahrt sie davor, gleichgültig zu werden, und hilft, auf dem Boden der Realität zu stehen, solidarisch zu leben und sich für andere einzusetzen. In einem Brief eines unbekannten Verfassers aus dem 2. Jahrhundert, heißt es von den Christen: „Jeder von ihnen wohnt in seinem eigenen Land, aber sie sind wie Fremde. Jedes fremde Land ist ihnen Heimat, und jede Heimat ist ihnen Fremde.“ (Brief an Diognet)
3. Immer unterwegs ... zusammen mit all denen, die ihre Heimat verlassen mussten
Überall auf der Welt sind Frauen, Männer und Kinder gezwungen, ihr Land zu verlassen, andere beschließen, ihre Zukunft anderswo zu suchen. Was sie dazu veranlasst, ist stärker als jede Barriere, auf die sie stoßen. Alle möchten, dass das Besondere ihrer Kultur bewahrt bleibe. Aber ist Offenheit für andere nicht eine der schönsten Gaben, die uns Menschen geschenkt ist? Natürlich stellt uns das Kommen von Migranten vor schwierige Fragen. Migration muss gesteuert werden; aber so groß die damit verbundenen Schwierigkeiten auch sein mögen, sie können auch eine Chance bedeuten. Manchmal erleben Menschen, die seit Generationen in derselben Stadt, im selben Viertel, im selben Dorf leben, einander wie Fremde. Selbst Menschen mit den gleichen kulturellen Wurzeln finden oft nicht den Weg zueinander. Können wir nicht auf diejenigen zugehen, die eine andere Lebenseinstellung oder andere Überzeugungen haben als wir? Wenn wir jemandem entgegengehen – gleich ob er anderer Herkunft ist oder ob wir bislang aneinander vorbeigelebt haben –, können wir wahrscheinlich besser verstehen, dass er anders denkt.
4. Immer unterwegs ... im Einklang mit der gesamten Schöpfung
Angesichts der enormen Gefahren, denen unser wunderbarer Planet ausgesetzt ist, kommen sich viele Menschen hilflos vor und sind entmutigt. In naher Zukunft werden aufgrund der Klimakatastrophe noch mehr Menschen als bisher dazu gezwungen sein, ihre Heimat zu verlassen. Der Glaube kann uns helfen, Fatalismus und Angst zu widerstehen. Am Anfang der Bibel heißt es: „Gott, der Herr, nahm den Menschen und gab ihm seinen Wohnsitz im Garten von Eden, damit er ihn bearbeite und hüte.“ Mit diesem symbolischen und poetischen Text betont die Bibel, dass wir im Schöpfungswerk Gottes eine besondere Verantwortung tragen. Sie besteht darin, dass wir uns der Erde annehmen und sie schützen. Unser Leben wird menschlicher, wenn wir neu verstehen, dass wir ein wesentlicher Teil der Schöpfung sind. Unser Planet Erde ist ein wertvolles Geschenk unseres Schöpfers. Wir sollten es mit Dankbarkeit und Freude annehmen. Die Erde ist unser gemeinsames Haus und Gott ruft uns auf, zum Wohl aller, auch der zukünftigen Generationen, darüber zu wachen. Angesichts des Klimanotstands entstehen zahlreiche Initiativen, die das Bewusstsein der Menschen immer stärker prägen. Sicherlich reicht es nicht aus, nur auf persönlicher Ebene etwas zu verändern; aber es ist eine wesentliche Voraussetzung für Veränderungen.
5. Immer unterwegs ... mit einem festen inneren Halt
Unser Vertrauen auf Gott mag zerbrechlich sein. Aber ist die Kirche nicht eine Gemeinschaft, in der wir uns aufeinander verlassen können, in der wir unsere Zweifel und Fragen teilen und uns gegenseitig auf unserer Suche weiterhelfen können? Wenn wir immer wieder zu dieser Gemeinschaft mit Gott zurückkehren, schenkt er uns eine große Freiheit. Durch seine Liebe will Gott uns aus unseren kollektiven und persönlichen Abhängigkeiten herausführen und uns helfen, abzulegen, was unsere Schritte belastet. Ja, es gibt einen Ort, an dem unser Herz ausruhen kann – einen innerer Pol, an dem sich bewahrheitet, was Jesus sagte: „Ihr werdet Ruhe finden für eure Seele.“ (Matthäus 11,29)
Und der Heilige Geist, Atem der Güte, wird uns führen,
auch in unserer Nacht …
(Foto: Cédric Nisi) |